Dies ist der zweite Beitrag einer kleinen Serie über das Phänomen von Angst. Wir alle kennen sie. Wir werden beleuchten, wie sie uns bewegt, wie sie uns lähmt und wie sie uns manchmal erstarren lässt. Also wie sie uns im täglichen Leben steuert, mal mehr, mal weniger. Wir wollen Dir ein paar Ideen geben wie du besser damit umgehen kannst – wir möchten Denkanstöße geben und das Phänomen Angst aus verschiedenen Winkeln beleuchten.
Reisen mit der Angst der anderen
Die Menschen sind so ängstlich in dieser Pandemie. Welche Angst umtreibt uns am meisten? Und welche Angst umtreibt die Menschen, die Entscheidungen treffen?
Gestern fuhr ich mit 2 riesigen Kartons, gefüllt mit den Matten für Thaimassage, mit dem Zug nach Frankfurt, um damit heute in das Flugzeug gen Kanaren zu fliegen. Ich machte Übersetzungen für das Programm von Summer Evolution, ich hatte Kaffeedurst. Ein langer Abend mit Thorsten stand bevor, ich habe ihn seit 9 Monaten nicht mehr gesehen und ich wollte nicht zu früh zu müde sein. Also ging ich durch den nur zu einem Viertel besetzten Zug in den Speisewagen. Zugreisen sind schön in der Pandemie, alles ist leise, alle tragen Masken und quatschen nicht viel, die Züge sind leer und fahren meistens pünktlich.
Im Speisewagen bestellte ich meinen Kaffee, und neben mir bestellte ein netter Mann ein Weizenbier. Er wurde freundlich belehrt, dass aufgrund der Pandemie nur alkoholfreie Getränke im Speisewagen verkauft werden. Der Mann schüttelte den Kopf – was hat mein Weizenbier mit der Pandemie zu tun? Leider konnte das niemand beantworten. Der Gedanke, jemand könnte durch Alkohol in einem Weizenbier zu schade kommen, ist so abstrus – es erzeugt so etwas wie einen Krankheitszustand im Kopf. Welche Angst hat jemanden oder gar ein Gremium dazu bewegt, solche Regeln aufzustellen? Nun – es ist die Angst vor dem Tod. Oder auf den Entscheidungsträger bezogen vielleicht die Angst, dass an seinem Stuhl gesägt werden wird, wenn es weiterhin lustvolles Weizenbier im Speisewagen gebe.
Die Angst vor dem Sterben mit oder an Covid bringt scheinbar sehr viele Menschen dazu, ihr Verhalten zu ändern, einzuschränken und sich in ständiger Angst einem Diktat von kafkaesken Regeln zu unterwerfen.
Ich schreibe diesen Artikel im Flugzeug, auf dem Weg zum Retreat. Vorweggenommen, hier an Bord gibt es Alkohol, aber ich habe wieder nur einen Kaffee bestellt. Aber hier gibt es eine andere tolle Regel. Wegen Covid sind die vorderen Toiletten nicht in Betrieb. Offensichtlich hat sich jemand gedacht, dass die mögliche Ausbreitung von Viren geringer ist, wenn 200 Menschen sich 2 Toiletten teilen anstatt von 4 und natürlich auch weitere Wege durchs Flugzeug laufen müssen. Oder dass die Crew nur die Viren unter sich (vorne) tauschen soll. Abgesehen von der Tatsache, dass alle Menschen hier einen aktuellen negativen PCR-Covid-Test vorweisen müssen um an Bord zu gelangen und die ganz Zeit Maske tragen, soll durch die Verringerung der zur Verfügung stehenden Toiletten ein Beitrag zur Weltgesundheit vollbracht werden.
Die Angst verdrängt und zerstört die Intelligenz – eine Reise durch Absurdistan
Dass die Trolleys der Fluggesellschaft deswegen gefühlte 500 mal von vorne nach hinten bewegt werden müssen, weil ständig Menschen auf die hintere Toilette laufen müssen und sie an den Trolleys nicht vorbeikommen, dadurch sehr viele unnötige Diskussionen entstehen, hat niemanden beeindruckt, der sich diese Regelungen ausgedacht hat. Die Stewarts sind auf 180, verständlicherweise, die Tatsache der Pandemie muss alles erklären – dass es nur die Hälfte der Dinge zu essen gibt, die auf der Karte stehen, dass man alles vorbestellen muss, dass dies und das nicht geliefert wird…die Angst verdrängt die Ratio, und wir alle machen das mit.
Über das wunderbare Retreat Shivas Temple gibt es andere Beiträge hier im Blog. Daher noch ein paar Zeilen zur Rückreise. Diese verlief mit einer anderen Airline nach Düsseldorf. Alle WCs waren verfügbar, es gab also keine Klo-Krise. Der Flug war viel entspannter. Das Aussteigen war allerdings auf eine bisher mir unbekannte Art absurd. Vorne Aussteigen, Reihe für Reihe. Also Reihe 1 fängt an, alle anderen bleiben sitzen und warten. Dann Reihe 2 aufstehen, Sachen packen, aussteigen, dann Reihe 3 und so weiter. Da ich mir den Luxus gegönnt hatte, in Reihe 4 zu sitzen, war ich nach 10 Minuten dieses Spektakels dann im Bus und konnte zum Terminal fahren. Somit konnte ich noch meinen Zug erwischen. Aber wie wäre mein Abend verlaufen, wenn ich in Reihe 32 gesessen hätte? Auch hier muss eine große Angst die Menschen steuern, die diese Regeln beschließen. Wie viele Menschenleben bei dieser Aktion gerettet wurden – nach fünfeinhalb Stunden dichtes Zusammensitzen in einem vollen Airbus A320?
Wenn Du in dieser Zeit reisen möchtest: Du wirst belohnt durch leere Städte, wunderbare Natur, schöne Strände mit wenig Touristen. Sei dir aber bewusst, dass Du Dich mit deinen eigenen Ängsten auseinandersetzen musst (ist das gefährlich für mich oder andere, was ich gerade tue, verstosse ich gegen Regeln?). Sei dir auch klar, dass Dir ständig die Angst der anderen Menschen begegnen wird und dass du oft mit wenig sinnvollen Regeln konfrontiert werden wirst.
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