In dieser Woche starb mein Lehrer und spiritueller Wegbegleiter Martin Raffael Siems in der Nacht vom 25. Februar in Hamburg im Alter von 72 Jahren. Ein Herzinfarkt hat ihn hoffentlich sanft ins Jenseits übergehen lassen.
Martin hat wie kein Anderer viele schwule Männer – und auch mich und viele meiner Freunde – auf einen besonderen spirituellen Weg gebracht. Martin, überzeugter Hamburger, Psychologe und Psychotherapeut, war in besonderer Weise begeisterungsfähig für viele spirituelle Lehren, Trends in der Psychotherapie und für vielfältige esoterische Ideen. Und konnte andere von vielem begeistern.
In den 70er Jahren wurde er als Autor bekannt durch sein Buch „Anleitung zum sozialen Lernen für Paare, Gruppen und Erzieher“, welches tausende Psychologiestudenten durchs Grundstudium begleitet hat. Bereits in den 80ern beschäftigte er sich mit Tantra für schwule Männer. Martin streckte früh seine Fühler auch nach Kalifornien aus, um dann die erotische Praxis von Joe Kramer mit Bodyelectric auch in Mitteleuropa bekannt zu machen. Sein Buch „Liebe, Lust, Ekstase“ integriert eine Auswahl profunder Übungen aus der Bioenergetik und der reichianischen Körperarbeit mit taoistischen Übungen. Das Werk war lange Zeit eine der Grundlagen für meine Tantra-Workshops.
Martin leitete über Jahrzehnte spirituelle Jahresgruppen (parallel eine für schwule Männer und eine gemischte). In dem von ihm entwickelten Souling lernten wir seinen laientherapeutischen Ansatz kennen: Er unterrichtete uns darin, wie wir uns gegenseitig Sitzungen in unterschiedlichen, meist körpertherapeutischen Settings geben. Dabei lernten wir viel über uns und voneinander. Durch seine Supervision wurden wir immer besser und genauer in der Anwendung der Methoden. Es hat viel Spaß gemacht und meine Horizonte stetig erweitert. Martins methodische Basis waren zunächst das Focussing von Gendlin und reichianische Atemtherapie. Um die Jahrtausendwende entdeckte er das bilaterale „Tappen“ aus dem EMDR (Traumatherapie) und integrierte es in seine Arbeit. Er schrieb dazu mehrere Bücher, komponierte Musik und entwickelte Meditationen („Atme, schüttel, tapp und tanz dich frei“).
Martins Seminare waren eine Klasse für sich. In der großen Runde konnte er seine Beobachtungen treffsicher formulieren und dabei jedem das Wesentliche mit auf den Weg geben. Man fühlte sich gesehen, manchmal auch ertappt, doch immer liebevoll von ihm unterstützt. Manchmal stieg die Spannung ins Unerträgliche, wenn sich der Sprechstein einem näherte… was sagt Martin mir heute, wie kommentiert er meine Worte?
Unvergessen bleiben auch meine Besuche in seiner Hamburger therapeutischen Praxis und Wohnung. Wiedersehen, Orgon Box, Souling, Sauna, Joints, eine gute Zeit zusammen haben.
Was ich niemals vergessen werde, ist seine Begeisterungsfähigkeit. In einem meiner ersten Workshops bei Martin lernte ich eine neue Herangehensweise, wir ich Dramen meiner vergangenen Leben klären kann. Im nächsten Workshop schwärmte er von Qigong. Wir mussten jeden Morgen Videos eines chinesischen Qigong-Meisters sehen und die Übungen nachahmen. Danach war Qigong so gut wie vergessen. Wir lernten statt dessen neue Methoden der Traumatherapie. Beim nächsten Mal schwärmte er von der Wirkung tachionisierter Unterhosen, die er gerade für einige Hundert Deutsche Mark erworben hatte. Sie strahlten für ihn so kraftvoll in sein Gemächt, dass er vor neuer Lebensenergie sprühte. Und so weiter, und so weiter.
Hundreds of times we worked together in Cologne in our local group after his meditations „Earthheart“ and „Heavenheart“. His loving “daddy voice” remains in our ears and hearts until today. And also on the cassettes that he recorded, where I still know the moments when the cassette is crackling: Every time he pressed the record button, after an announcement, there is a characteristic crackling sound on the tape. Like a Pavlovian dog, I am still programmed at that moment to breathe deeply and evenly into my stomach…
Gefühlte hunderte Male haben wir in Köln in unserer lokalen Gruppe nach seinen Meditationen „Erdherz“ und „Himmelherz“ gearbeitet. Seine liebevolle Papa-Stimme ist bis heute in unseren Ohren und Herzen geblieben. Immer noch weiß ich, wann es auf der Kassette knackt: Jedes Mal, wenn er nach einer Ansage den Aufnahmeschalter wieder drückte, gab es dieses charakteristische Knacken im Band. Wie ein Pawlowscher Hund bin ich in diesem Moment noch heute dadurch programmiert, tief und gleichmäßig in den Bauch zu atmen…
Martin Raffael, ich danke Dir für Dein großes Herz und Dein liebevolles Wirken. Du hast uns allen gelehrt, uns anzunehmen, wie wir sind. Wir haben erfahren, dass wir an unseren Enttäuschungen und Verletzungen arbeiten und wie wir diese transformieren können.
Dein Erdherz ist jetzt ins Himmelherz übergegangen.
Ruhe in Frieden – mit einem großen Lächeln.
Eine Übersicht über seinen Wissendurst:
https://spirit-online.de/siems-martin-raffael.html
Seine Souling Praxis:
https://www.souling-zentrum.de
Ein schönes Einführungsvideo von Martin:
https://www.youtube.com/channel/UCdliK8NLLLa8AJYAKmkgiTQ
Februar 29, 2020 um 8:40 pm Uhr
Vielen lieben Dank für diesen sehr schönen Nachruf, Thomas! Letzte Woche noch sah ich die Himmelherz- und Erdherz-CDs in meinem Regal und dachte „die müsste man auch mal wieder machen“…
War es übrigens nicht Falun Gong, was wir auf einmal machen sollten? Später stellte ich dann fest, dass es sich um eine in China verfolgte Sekte handelte. Aber da machten wir ja längst schon wieder etwas anderes 🙂
Ich verdanke Martin auch sehr viel und werde ihn immer in meinem Herzen tragen.
Februar 29, 2020 um 11:51 pm Uhr
Vielen Dank Thomas…wunderschöne Worte…helfen mir auf so schöne Weise mit Tränen und Lächeln Abschied zu nehmen. Bin so dankbar. .. Bis bald…herzlicher Gruß, Olaf